Anlässlich der laufenden Koalitionsverhandlungen in Hessen zwischen CDU und Bündnis90/Die Grünen fordert das Netzwerk Gerechter Welthandel gemeinsam mit etwa 30 weiteren hessischen Verbänden, Bündnissen für einen gerechten Welthandel sowie bundesweit tätigen zivilgesellschaftlichen Organisationen die beiden Parteien dazu auf, das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) zum Thema der Verhandlungen zu machen und im Koalitionsvertrag festzuhalten, dass Hessen dem Abkommen im Bundesrat nicht zustimmen wird.
In einem Offenen Brief weisen wir auf problematische Inhalte des CETA-Abkommens hin. Nach der vollständigen Ratifizierung wird CETA ausländischen Investoren ein eigenes, privilegiertes Klagerecht gewähren, mit dem sie hohe Schadensersatzforderungen an Staaten richten könnten. Dadurch werden demokratische Handlungsspielräume von Politik eingeschränkt. Durch die Erweiterung und Verfestigung von kommunalen Ausschreibungspflichten schränkt CETA zudem den Handlungsspielraum von Kommunen ein und unterstützt die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Auch das dem europäischen Umwelt- und Verbraucherschutz zu Grunde liegende Vorsorgeprinzip ist in CETA nicht ausreichend abgesichert. So ist nicht sichergestellt, dass bestehende Standards durch CETA aufrechterhalten werden.
CETA wird seit September 2017 zu großen Teilen vorläufig angewandt, muss jedoch noch von den Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Es ist davon auszugehen, dass der Bundesrat und somit auch die künftige hessische Landesregierung in dieser Legislaturperiode über CETA abstimmen werden.
Keine Zustimmung zu CETA in den Koalitionsvertrag!
Offener Brief an Tarek Al-Wazir und Priska Hinz für Bündnis90/Die Grünen Hessen sowie an Volker Bouffier und Manfred Pentz für die CDU Hessen
Sehr geehrter Herr Al-Wazir, sehr geehrte Frau Hinz,
Sehr geehrter Herr Bouffier, sehr geehrter Herr Pentz,
als hessische Bündnisse für einen gerechten Welthandel sowie als bundesweit tätige zivilgesellschaftliche Organisationen fordern wir Sie dazu auf, das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) zum Thema der laufenden Koalitionsverhandlungen zu machen und im Koalitionsvertrag festzuhalten, dass Sie dem Abkommen im Bundesrat nicht zustimmen werden.
Trotz der breiten und EU-weiten Proteste gegen CETA wird das Abkommen seit September 2017 zu großen Teilen vorläufig angewandt. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag angekündigt, „die Voraussetzungen dafür schaffen [zu wollen], dass das CETA-Abkommen umfassend in Kraft treten kann“. Es ist davon auszugehen, dass der Bundesrat und somit auch die künftige hessische Landesregierung in dieser Legislaturperiode über CETA abstimmen werden.
Wir kritisieren unter anderem folgende problematischen Inhalte des CETA-Abkommens:
1. Sonderklagerechte für Konzerne schränken demokratische Handlungsspielräume von Politik ein
Aufgrund der breiten – unter anderem von Bündnis90/Die Grünen getragenen – Proteste wurde in CETA ein reformiertes Schiedsgerichtssystem (ICS) verankert. Die Reformen betrafen prozedurale Aspekte des Klagemechanismus, änderten jedoch nichts an der Grundproblematik: Nach der vollständigen Ratifizierung wird CETA ausländischen Investoren ein eigenes, privilegiertes Klagerecht gewähren, mit dem sie hohe Schadensersatzforderungen an Staaten richten könnten. Regierungen müssten dann noch mehr als heute mit Schadensersatzforderungen rechnen, wenn ihre Gesetze oder Entscheidungen Investoreninteressen zuwiderlaufen. Den weitgehenden Rechten für Investoren stehen keine Pflichten, beispielsweise zum Schutz des Gemeinwohls, gegenüber.
2. CETA schränkt den Handlungsspielraum von Kommunen ein, unterstützt die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und ist eine Gefahr für die öffentliche Daseinsvorsorge
Das CETA-Abkommen erweitert und verfestigt kommunale Ausschreibungspflichten und liberalisiert alle Dienstleistungen, die nicht explizit ausgenommen sind (sogenannter Negativlisten-Ansatz). Zwar haben sowohl die EU als auch die Bundesrepublik Ausnahmen eingereicht, doch deren Formulierung reicht nicht aus, um die Interessen der Kommunen zu schützen. Dienstleistungen, die es jetzt noch nicht gibt, fallen automatisch unter das Abkommen; und einmal privatisierte Dienstleistungen können schwerer wieder re-kommunalisiert werden. Durch diese Inhalte schränkt CETA den Handlungsspielraum von Kommunen ein, unterstützt die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und ist eine Gefahr für die öffentliche Daseinsvorsorge.
3. Mangelnder Schutz des Vorsorgeprinzips und die daraus resultierenden Gefahren für Umwelt- und Verbraucherschutz
Das dem europäischen Umwelt- und Verbraucherschutz zu Grunde liegende Vorsorgeprinzip ist in CETA nicht ausreichend geschützt und wird durch Verweis auf Regeln der Welthandelsorganisation sogar noch verwässert. So ist nicht sichergestellt, dass bestehende Standards durch CETA aufrechterhalten werden. Umgekehrt ist das Nachhaltigkeitskapitel nicht mit einem funktionierenden Sanktions- und Durchsetzungsmechanismus verbunden und von der allgemeinen Streitschlichtung des Abkommens ausgeschlossen.
4. Regulierungsausschüsse erhalten weitreichende Entscheidungsbefugnisse
Die Ausschüsse, die durch CETA geschaffen wurden, haben bereits begonnen zu tagen. Ihnen stehen weitreichende Entscheidungsbefugnisse zu, dennoch fassen sie ihre Beschlüsse ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments. Ein Blick auf die Tagesordnungen der ersten Sitzungen beweist, dass es sich bei unserer Kritik an der regulatorischen Kooperation nicht nur um demokratietheoretische Überlegungen handelt. In den Ausschüssen treffen handfeste realpolitische Interessen aufeinander. So greift Kanada im Ausschuss zu Landwirtschaft den gefahrenorientierten Ansatz des europäischen Pestizidrechts – und damit das Vorsorgeprinzip – an. Die Diskussion findet ohne gewählte Abgeordnete statt, und ohne dass JournalistInnen Öffentlichkeit herstellen könnten.
Wir wissen, dass internationale Zusammenarbeit gerade in heutiger Zeit ein hohes Gut und wichtiges Ziel ist. Deshalb betonen wir, dass wir nicht für weniger, sondern für mehr internationale Kooperation eintreten. Von zentraler Bedeutung ist es jedoch, die richtigen Akzente bei der Gestaltung der Globalisierung zu setzen. Abkommen, die hohe soziale und ökologische Standards, öffentliche und gemeinnützige Dienstleistungen und demokratische Entscheidungsprozesse garantieren, könnten helfen, das Primat der Politik wiederherzustellen. CETA tut dies nicht. Es stellt, ganz im Gegenteil, Wirtschaftswachstum und die Rechte großer Unternehmen über alle anderen Werte. Das Abkommen leistet damit auch denjenigen Vorschub, die internationale Kooperation grundsätzlich bekämpfen wollen.
Auch wer CETA nicht komplett ablehnt, sondern nur einige Aspekte ändern oder nachbessern will, muss die vorliegende Fassung ablehnen. Deshalb bitten wir Sie, sich im Koalitionsvertrag auf ein klares „Nein“ oder auf eine Enthaltung festzulegen.
Für weitere Gespräche stehen wir sehr gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Aktionsbündnis gegen CETA, TTIP und TISA im Kreis Groß Gerau
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) e.V.
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) e.V., Landesverband Hessen
Attac
Attac Bergstraße für gerechten Welthandel
Berliner Wassertisch
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Hessen
Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) e.V.
Bündnis Stoppt TTIP & Co. Darmstadt.Dieburg.
Campact
Deutscher Kulturrat e.V.
Entwicklungspolitisches Netzwerk Hessen e.V. (EPN Hessen)
Foodwatch
Forum Umwelt und Entwicklung
Frackingfreies Hessen n.e.V.
Frankfurter Bündnis gegen TTIP, CETA und TiSA
Gießener Aktionsbündnis gegen TTIP, CETA & Co
Greenpeace
Grüne Liga e.V.
Hessische Bündnisse gegen CETA & Co im Netzwerk Gerechter Welthandel
Marburger Bündnis gegen TTIP
Mehr Demokratie
Mehr Demokratie, Landesverband Hessen
NaturFreunde Deutschlands e.V.
NaturFreunde Deutschlands e.V., Landesverband Hessen
Netzwerk Gerechter Welthandel
Netzwerk Solidarische Landwirtschaft
Nordhessisches Bündnis Freihandelsabkommen stoppen!
PowerShift e.V.
SlowFood Deutschland e.V.
Umweltinstitut München e.V.
Downloads:
- Offener Brief an Tarek Al-Wazir und Priska Hinz für Bündnis90/Die Grünen Hessen
- Offener Brief an Volker Bouffier und Manfred Pentz für die CDU Hessen