Das Seattle to Brussels Network wandte sich gestern mit einem Brief an alle Europaabgeordneten und forderte sie dazu auf, das Investitionsabkommen der EU mit Singapur nicht zu ratifizieren. Das Netzwerk Gerechter Welthandel unterstützt den Brief, gemeinsam mit über 50 europäischen sowie 20 asiatiaschen und lateinamerikanischen Organisationen. Im Folgenden dokumentieren wir den Brief in deutscher Übersetzung.
Sehr geehrtes Mitglied des Europäischen Parlaments,
mit diesem Schreiben möchten wir Sie auf das Investitionsabkommen der EU mit Singapur (EUSIPA) aufmerksam machen, das am 12. Februar [verschoben auf den 13. Februar] zur Abstimmung steht.
Gemeinsam mit über 50 Organisationen aus ganz Europa sowie 20 Organisationen aus Asien und Lateinamerika bitten wir Sie darum, EUSIPA nicht zu ratifizieren und vor der Abstimmung folgende Probleme zur Kenntnis zu nehmen:
1 – Von geringfügigen Änderungen abgesehen, enthält EUSIPA weiterhin die alten Investitionsschutzstandards sowie das Investor Court System (ICS), welches noch immer eine Form des Investor-to-State Dispute Settlement (ISDS) darstellt. ICS wird zwar häufig als progressive Reform zu ISDS dargestellt, hat die Hauptprobleme des Systems jedoch nicht verändert. Dazu gehören unter anderem:
- Keine Begrenzung der Entschädigungssummen. Dies verleiht Investoren enorme Macht, insbesondere gegenüber Staaten mit Haushaltszwängen.
- Falsche Anreize für die Schiedsrichter, im Sinne der Investoren zu entscheiden. Die Schiedsrichter werden weiterhin pro Fall bezahlt statt nach festen Gehältern. Dadurch entsteht ein Eigeninteresse, Entscheidungen zugunsten der Investoren zu fällen und dadurch mehr Firmen zu Klagen zu ermutigen.
- Rechtliche Standards wie der Schutz der „legitimen Erwartungen“ bevorzugen Investoren. Diese Formulierung ist in der Vergangenheit so breit ausgelegt worden, dass selbst gewöhnliche regulatorische Veränderungen damit in Konflikt geraten können.
- Ein hohes Risiko für „regulatory chill“. Im Prinzip führt jedes einseitige System der Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit dazu, dass Regierungen von Unternehmen schikaniert werden. Der bekannte Fall Vattenfall vs. Deutschland I zeigt, dass Staaten häufig lieber Regulierungen rückgängig machen (in diesem Fall Beschränkungen der Kühlwasserentnahme), als die Schadensersatzforderung einer ISDS-Klage zu leisten .
2 – EUSIPA schützt nicht das „right to regulate“. Investitionsschutzabkommen können die internationalen Verpflichtungen der EU, die aus Umwelt- und Menschenrechtsabkommen resultieren, aushebeln. Somit ist nicht garantiert, dass das Pariser Klimaschutzabkommen Vorrang vor EUSIPA hat. EUSIPA räumt Investoren große Privilegien ein und gibt ihnen das Recht, Gesetze sowie gerichtliche Entscheidungen anzufechten, die dem Schutz unserer Gesundheit sowie des Klimas dienen.
3 – EUSIPA verankert die schlimmsten Elemente der bestehenden bilateralen Abkommen. Die bestehenden bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs) zwischen Singapur und 13 EU-Mitgliedsstaaten (von denen 12 ISDS enthalten) sind problematisch. Die aktuellen BITs durch ein Abkommen zu ersetzen, das den Geltungsbereich der problematischsten Inhalte dieser Abkommen von 12 auf 27 Staaten erweitert, ist jedoch keine Verbesserung. Stattdessen bindet dieses Abkommen alle Mitgliedsstaaten an die äußerst fehlerhaften Bestimmungen. Aktuell haben Regierungen das Recht, zumindest 7 der 12 BITs jederzeit aufzukündigen (und die anderen 5 in den nächsten Jahren). Wenn EUSIPA in Kraft tritt, wird es für einzelne Staaten fast unmöglich, die Verträge zu kündigen, da sie die gesamte EU betreffen.
4 – ISDS ist ein gescheitertes und ein sterbendes System. Wenn Sie für EUSIPA stimmen, unterstützen Sie ein System, das seinen vorgesehenen Zweck – ausländische Investitionen anzuziehen – nicht erfüllen konnte, und das die Möglichkeiten von Regierungen, im öffentlichen Interesse zu regulieren, eingeschränkt hat. Weltweit haben Regierungen ihre Unterstützung für dieses System wieder aufgekündigt, beispielsweise in Südafrika, Indonesien oder Tansania. Wir in Europa sollten das Gleiche tun.
5 – EUSIPA ist ein Rückschritt gegenüber CETA. EUSIPA beinhaltet eine „umbrella clause“, mit der Investoren auch Entscheidungen von Gemeinden oder Städten vor internationalen Schiedsgerichten anfechten können. Diese Klausel hebt private Geschäftsverträge auf den gleichen Status wie internationale Abkommen. In Anbetracht der Kosten, die Schiedsgerichtsverfahren verursachen, besteht insbesondere auf lokaler und regionaler Ebene ein hohes Risiko für „regulatory chills“.
6 – Die Förderung von Investitionen sollte nicht nur deren Quantität, sondern auch deren Qualität betreffen. Internationale Investitionen könnten einen Teil zu den 3,9 Milliarden US-Dollar beitragen, die Schätzungen zufolge gebraucht werden, um die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs) umzusetzen. Dafür müssten Regierungen aber in der Lage sein, private Mittel so zu regulieren, dass diese in Projekte fließen, die die SDGs vorantreiben. EUSIPA untergräbt die Möglichkeit für Regierungen, Investitionen so zu regulieren, dass sie zu positiven Effekten wie gute Arbeit, Steuereinnahmen oder Technologietransfer führen.
7 – ISDS wird von der Bevölkerung abgelehnt. 300.000 Menschen [inzwischen über 430.000] haben in den letzten Wochen bereits unsere Petition unterzeichnet und das Ende von ISDS in allen Varianten (inklusive ICS und Multilateralem Investitionsgerichtshof) gefordert. Insbesondere vor dem Hintergrund einer erstarkenden extremen Rechten und einem wachsenden Autoritarismus könnten Sie nun eine echte Veränderung des gegenwärtigen fehlerhaften und illegitimen Investitionsregimes fordern und damit den WählerInnen zeigen, dass die gewählten VertreterInnen auf ihre Stimmen hören.
8 – Multinationale Unternehmen brauchen Regeln und keine unfairen Privilegien. In unserer globalisierten Welt werden die Märkte zunehmend von einer konzentrierten, kleinen Gruppe von Firmen dominiert. Sie bekommen Sonderrechte, um Regierungen verklagen zu können, aber haben keine internationalen Verpflichtungen, Menschenrechtsverstöße zu unterlassen. In den letzten Jahrzehnten hat das Ausmaß der Konzernmacht enorm zugenommen. Es ist dringend nötig, diese Macht der Konzerne zu begrenzen und die Verantwortlichkeit von Investoren zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund sollte klar sein, dass globale Konzerne keine Sonderrechte und kein spezielles ISDS/ICS-Gerichtssystem benötigen. Vielmehr brauchen wir Abgeordnete, die das UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte (Binding Treaty) unterstützen. Dieses würde allen Menschen die Garantie geben, dass Konzerne zur Rechenschaft gezogen werden können.
Für weitere Rückfragen und Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.