Am 12. Februar stimmt das Europäische Parlament über ein Handels- und ein Investitionsschutzabkommen mit Singapur ab. Eigentlich war das Abkommen als umfassendes Handelsabkommen mit Investitionskapitel verhandelt worden. Doch nachdem der EuGH entschieden hatte, dass der Investitionsteil von allen Mitgliedsstaaten einzeln ratifiziert werden muss, folgte der Rat der Empfehlung der Kommission und teilte es in zwei Einzelabkommen auf. Die bevorstehende Abstimmung über das EU-Singapur-Abkommen im Europäischen Parlament bietet daher die Chance, Konzernklagen eine längst überfällige Absage zu erteilen. Denn das Schiedsgerichtssystem (Investor-State Dispute Settlement, ISDS) befindet sich schon seit längerer Zeit in der Krise und erfährt eine immer weitere Ablehnung aus Politik und vor allem Zivilgesellschaft. Erst vorletzte Woche startete die europaweite Petition Menschenrechte schützen – Konzernklagen stoppen, die seitdem von über 300.000 Menschen unterzeichnet wurde.
Es gibt viele gute Gründe dafür, dass wir Konzernklagen jetzt ein für alle Mal loswerden sollten.
- Es handelt sich hier um Sonderrechte für international agierende Konzern, die einzig und allein ausländischen Investoren zugänglich sind. Nur sie können internationale Schiedsgerichte anrufen, wenn sie ihre Interessen verletzt sehen. Gewöhnliche Menschen, Gewerkschaften oder zivilgesellschaftliche Verbände haben diese Möglichkeit nicht.
- Konzernklagen versehen staatliche Regulierungen mit einem Preisschild. Konzerne nutzen bestehende Handels- und Investitionsabkommen, um vor internationalen Schiedsgerichten Entschädigungen für staatliche Maßnahmen zu fordern, die gegen ihre Interessen verstoßen. Regulierungen, die dem Schutz von Gesundheit und Umwelt oder anderen öffentlichen Interessen dienen, können dadurch verdammt teuer werden. Zum Beispiel forderte Philip Morris zwei Milliarden US-Dollar wegen der Einführung von Gesundheitswarnungen auf Zigarettenpackungen in Uruguay, Vattenfall fordert über 4,4 Milliarden Euro wegen des deutschen Atomausstiegs, und der Bergbaukonzern Lone Pine Resources fordert 250 Millionen kanadische Dollar für Quebec’s Moratorium auf Fracking.
- Konzernklagen sind ein machtvolles Instrument, um die Demokratie zu begrenzen. Bereits die Androhung von Entschädigungsforderungen in Millionen- oder Milliardenhöhe kann zur Verhinderung oder Abschwächung von Regulierungen im öffentlichen Interesse führen.
- Schiedsrichter sind keine ordentlichen Richter. Im Gegensatz zu Richtern an ordentlichen Gerichten werden Schiedsrichter pro Fall bezahlt. So besteht ein starker Anreiz, investorenfreundliche Entscheidungen zu fällen und auf diesem Weg mehr Fälle und mehr Einkommen zu generieren.
- Die Reformagenda der EU-Kommission behebt nicht die grundlegenden Mängel des Systems. Seit den massiven Protesten gegegn TTIP und CETA, die sich unter anderem gegen Konzernklagerechte richteten, hat die EU-Kommission lediglich kleinere prozedurale Änderungen eingeführt. Die Grundprobleme bleiben bestehen.
- Die Anzahl der Konzernklagen explodiert. Während es bis in die 90er Jahre hinein insgesamt nur 10 Konzernklagen vor internationalen Schiedsgerichten gab, waren es 2018 über 800 – Dunkelziffer unbekannt.
- Konzernklagen greifen nicht nur staatliche Regulierung an, sondern auch nationale Gerichtsentscheidungen. Zum Beispiel bei der Klage Chevrons gegen Ecuador: Nachdem das höchste ecuadorianische Gericht geurteilt hatte, dass der Ölkonzern Chevron für die Beseitigung der Ölbohrungsschäden und Verschmutzungen aufkommen muss, klagte der Konzern vor einem internationalen Schiedsgericht, um diesem Urteil und seiner Verantwortung zu entgehen.
- Konzernklagerechte bringen nicht den erwünschten ökonomischen Segen, sondern sind sehr teuer. Der häufig unterstellte Zusammenhang, dass Staaten mehr ausländische Investitionen anziehen, wenn sie Investitionsverträge mit Schiedsgerichten unterzeichnen, lässt sich empirisch nicht bestätigen.
- Das Schiedsgerichtssystem liegt im Sterben. Die Legitimität des Systems hat stark gelitten, nicht zuletzt während des Widerstandes gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Auch international gibt es mehr und mehr Staaten, die ihre Investitionsschutzverträge kündigen.
- Es gibt Alternativen. Unter dem Dach der Vereinten Nationen wird derzeit über ein Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten (Binding Treaty) verhandelt. Dieses würde dafür sorgen, dass international tätige Konzerne für ihre Vergehen besser haftbar gemacht werden können. Und in mehreren EU-Mitgliedstaaten werden derzeit Gesetze für Sorgfaltspflichten für Konzerne entworfen, in Frankreich ist ein solches Gesetz bereits 2017 in Kraft getreten. Statt neue Investitionsabkommen mit zweifelhaftem Nutzen und großen Gefahren abzuschließen, müssten sich die Bundesregierung sowie die EU-Kommission dafür einsetzen, diese Initiativen voranzutreiben und damit anfangen, Menschenrechte und die Umwelt vor Konzerninteressen zu stellen.
Ausführlichere Erklärungen finden sich im Factsheet „Konzernklagen jetzt stoppen! 10 Punkte, warum jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um ISDS zu stoppen“